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Intendantin Dr. Elisabeth Schweeger

Intendantin Dr. Elisabeth Schweeger

Heimat Utopie

Heimat, das ist mehr als Zuhause, meint mehr als das englische Home, mehr als prasselndes Kaminfeuer, Behaglichkeit. Heimat meint einen Ort tiefer und ursprünglicher Vertrautheit, einen Ort, der unsere Identität prägt, der bestimmt, wie wir uns selbst erleben, wonach wir streben. Der Begriff „Heimat“ ist aufgeladen mit Emotion, reicht tief in Urgefühle hinab. Im 20. Jahrhundert wurde der Heimatbegriff politisch vereinnahmt und missbraucht. Bis heute ist er davon nicht restlos befreit.

„Utopie“ ist erst im 15. Jahrhundert aus dem Altgriechischen abgeleitet worden und bedeutet: „Nicht-Ort“. Es steht für die Vision einer besseren Gesellschaft, einer zukünftigen Welt, in der ein Mensch Geborgenheit, Gerechtigkeit und erfülltes Leben finden könnte. Bis heute hat die Fähigkeit, Zukunft zu imaginieren, die Menschen beflügelt: Sie überwinden so Abhängigkeiten, treiben gesellschaftliche Entwicklungen voran. Ohne utopisches Denken säßen wir noch in Höhlen.

Haben Heimat und Utopie miteinander zu tun? Aber gewiss! Das eine ist ein Ort, von dem alles ausgeht. Das andere ist ein Ort, auf den alles hinstrebt. Nicht aber bloß „Heimat“, auch „Utopie“ ist ein Begriff, den wir neu reflektieren müssen. Während wir einerseits erkennen, dass uns Heimat als Sehnsuchtsort verloren geht, schwindet uns andererseits zusehends die Kapazität zu utopischem Denken. Unter den gnadenlosen Effizienzzwängen, die die Beschleunigung unserer Lebenswelt einfordert, ist für Träumen kein Platz mehr.

Die schöne Insel Utopia war einmal ein Noch-nicht. Sie ist heute anscheinend nicht mehr denkbar. Wie sollen wir Utopien als einen Weg ins Auge fassen, wenn wir in unserem Denken und Fühlen mobil und schließlich ortlos wurden? So führt uns die heutige Lebenswelt zurück zu nomadischer Daseinsform. Wir sind überall, aber nur selten im Geist dort, wo wir körperlich sind, wo wir atmen. Ist das neue Zuhause im Auto so gut wie im Flugzeug und in der vorübergehenden Absteige? Ist es sogar jenseits solcher Orte, findet es sich am Ende entkörperlicht im Nirgendwo der „Cloud“ – einer uns umhüllenden Wolke aus Daten, die unsere Geheimnisse, Erinnerungen weit effektiver speichert als unser Gehirn oder jede Kladde? Ist Heimat also plötzlich überall? Oder ist sie nirgendwo und damit auch zu einem „Nicht-Ort“ geworden?

Stellen wir in diesem Festival beide Begriffe, Heimat und Utopie, ins Zentrum, so führt das zu grundsätzlichen Fragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und es stellen sich Fragen nach möglichen Bindungen. In Herrenhausen wenden wir uns an eins der wichtigsten Mittel, nämlich die Kunst, die uns zu dieser Erforschung bleibt. „Jeder Garten“, meint der Landschaftsarchitekt Florian Otto, „ist eine Utopie, weil er als Gegenentwurf zum Alltäglichen gedacht ist“. Jedes Kunstwerk fasst ebenfalls solche Entwürfe, zeigt uns mögliche Welten neben der unseren und erinnert uns an die Aufgabe zur Gestaltung der Zukunft. Garten und Kunst schaffen einen Ort der Ruhe und Besinnung, einen Ort, der uns stärkt. Und während diese Verbindung in uns das Gefühl wachrufen kann, irgendwo doch beheimatet zu sein, führt sie uns zu neuen Entwürfen, verleiht unserem Handeln Ziel und entfaltet so utopisches Potential.